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Schöne neue digitale Welt
Also eigentlich war früher alles
viel besser. Dieses ebenso lapidare wie betrübliche Naturgesetz hat mir schon mein Großvater vor
über 30 Jahren versucht einzutrichtern. Damals hielt ich das für ein faules Märchen, wie die Geschichten
vom schwarzen Mann im Keller und vom Suppenkasper oder schlichtweg für erste Anzeichen von Alzheimer.
Bis dann eines Tages das letzte hübsche gelbe Telefonhäuschen gegen diese mausgrau-elefantenrosa gefärbten Kästen
ausgetauscht war, ich die verschiedenen Automarken nicht mehr von hinten erkennen konnte und es keine Käpt'n Nuss Schokoladencreme mehr zu kaufen gab. Die alten Geldscheine waren auch viel schöner, früher gab es mehr Brombeeren und die Sommer sind nicht mehr was sie mal waren.
Potenziert man nun die Anwendung dieser Ungnade der späten Geburt, was muss das Leben vor 1000 Jahren herrlich gewesen sein! Oder gar im Paradies, obwohl, da gab es zwar Äpfel, vielleicht auch gebratene Tauben, aber von
Mango und Jackfruit steht in der Bibel kein Wort geschrieben. Kühlschränke mit
Amaretto-Eiscreme und Baileys würden mir auch ganz schön abgehen. Doch spätestens bei der Einführung des Solidaritätszuschlages leistete ich meinem Großvater reumütig Abbitte: Früher war einfach alles besser.
Bevor mich jedoch diese Bekehrung hinaus auf die Trödelmärkte zum frühmorgendlichen Schnäppchenfang trieb, mich meine Wohnung mit Ohrensesseln, Tütenlampen und Nierensesseln ausstatten ließ, trat auch in mein Leben die berüchtigte Ausnahme von jeder Regel, in diesem Falle der Computer.
Hier ist das nämlich ganz anders: Die Rechner werden immer kleiner, die Bildschirme immer bunter und die Zeiten, bis sich dieses Ding zu einer Antwort bequemt, immer kürzer. Die werden sogar so schnell, da kann keine Sekretärin beim Tippen mehr mithalten.
Aber kein Problem, da wird halt nichts mehr eingetippt sondern alles nur am Bildschirm hin und herkopiert, Mausklick hier, Mausklick da, Mausklick dort, fertig ist der Brief. So ähnlich haben sich früher die Erpresser ihre Briefe aus Zeitungsbuchstaben zusammengestückelt. Heute machen die das natürlich auch per Computer.
Jedenfalls gibt es deshalb jetzt überall Standardbriefe, Formulare und so was wie ISO 9000 (das hat nichts mit einer Isolierkanne für den Fünf-Uhr-Tee zu tun).
Da gibt es dann nur eine begrenzte Anzahl hin- und herschiebbarer Texte im Computer, und mit denen
muss man auskommen. Aber nach Meinung diverser Experten aus Vereinen zur Förderung der Rechtschreibung sollte der deutsche Sprachschatz ja sowieso
mindestens alle 3 Jahre generalüberholt und vereinfacht werden. Das verkürzt dann auch die Schulzeit oder man kann sich dort wichtigeren Themen widmen, z.B. "Sammy Molchows Körpersprache für Manager".
Mein Kater kann übrigens schneller schreiben als zwei Sekretärinnen gleichzeitig. Er hat aber auch vier Pfoten zur Verfügung, mit denen er auf der Tastatur rumlaufen kann, nur mit dem Abspeichern hapert es noch. Die Briefe kann allerdings auch nur die Nachbarkatze lesen.
Die Maus interessiert ihn merkwürdigerweise überhaupt nicht. Keine Ahnung was eine Maus
im nicht biologischen Sinne ist? Dann ist dies genau die richtige Lektüre um
ca. 90% vom Wissenstand eines/einer 8-jährigen aufzuholen.
Nachdem nun alle diese Wunder-Rechner fast stündlich schneller werden, der menschliche Geist aber partout nicht auf Wachstumshormone ansprechen
will (die Summe der Intelligenz auf unserem Planeten ist konstant, aber die
Bevölkerung wächst), würde sich so ein Computer ja fürchterlich langweilen, wenn er sich mit nur einem dieser Langsamtreter unterhalten dürfte. Genau wie der Schachgroßmeister, der zwischen den einzelnen Zügen von Onkel Otto die zweitklassige Fortsetzung von "Vom Winde verweht" komplett durchlesen könnte. Bobby Fischer spielte daher Simultan-Turniere gegen die 100 Mitglieder der Bottrop Chess Panthers, für den Computer heißt die Wunderformel "Multitasking".
Das ist, als ob ich gleichzeitig mit der einen Hand die Nudeln fürs Abendessen in den Topf schütte, mit der anderen den Kuchenteig für den morgendlichen
Kaffeeklatsch rühre, mit dem Fuß den Kater kraule und im Geist die guten Ratschläge meiner Mutter memoriere. Ein Freund von mir
(Sternzeichen Jungfrau) ist überhaupt nicht multitaskingfähig. Während er die Teekanne vorwärmt,
muss selbst die Diskussion der für die Jahreszeit unangemessenen Wetterlage unterbrochen werden. Zugegeben, mir fällt meist die Hälfte der Nudeln auf den Boden, so
dass der Zeitgewinn vernachlässigbar ist.
Anders der Computer, er managt beliebig viele Arbeiten gleichzeitig - so viele
kann ich mir gar nicht auf einmal ausdenken. Aber dafür gibt's ja Internet. Da
kann man schon heftig viel Action aus aller Welt auf seinen Rechner einladen.
Leider ist dann irgendwann der Arbeitsspeicher überlastet, und es hilft nur
noch, den Stecker zu ziehen. Dann ist zwar alle getane und nicht gespeicherte
Arbeit auch wieder futsch, aber man muss wenigstens keine Nudeln auffegen.
Diese Surferei
im Internet ist nun aber wirklich eine Super-Sache, man braucht eigentlich das
Haus, bzw. seinen Drehstuhl gar nicht mehr zu verlassen: Hast du ein Problem,
z.B. Halsweh, einfach googeln, jawohl googeln nicht gurgeln, mein
Rechtschreibprüfungs-Programm hat nicht versagt. Da wirst du echt geholfen!
Damit löst man per Mausklick sogar Probleme, die man ohne den Computer gar
nicht hätte. Neulich wollte ich nur kurz im Internet surfen bis die Milch
anfing zu kochen (-> Multitasking). Wie man den schwarz verkrusteten
Topfboden rettet und den tagelang im Haus schwelenden Geruch bekämpft konnte
ich dann gleich ausgiebig in diversen Haushalts-Ratgeber-Foren
weiterrecherchieren. Ich war offensichtlich nicht die erste, die dieses
Schicksal ereilt hatte. Ein weiteres Problem kann auftreten, wenn man um Mitternacht immer noch die Datennetze aller Welt durchforstet. In schlecht beleuchteten Räumen die Tasten zu treffen, ist nicht immer einfach.
Abhilfe kann hier die erste von innen leuchtende Tastatur schaffen. 'ElumniX' von Auravision glüht aquamarin- oder saphirblau!
Leider ist dieser Computer natürlich auch ein echter Magnet für die Kids. Jeder Hersteller auch nur entfernt jugendtauglicher Produkte, der was von
Kommerz versteht, hat heutzutage seine eigene bunt schillernde Website. Um
selbst überhaupt noch eine Chance auf den ungestörten Cyber-Chat zu haben bleibt als
Ablenkungsmanöver der Gameboy, klein, handlich, in Modefarben von pink bis schwarz,
teuer und natürlich hochgradig inkompatibel mit dem jeweiligen
Nachfolgermodell. Das Advance im Produktnamen steht hier wohl hauptsächlich
für die fortgeschrittene Vermarktungstechnik. Mit diesen hochkommunikativen
Dingern kann man sich sogar mit seinen Freunden vernetzen und im Mehrspielmodus
spielen. Aber haben die dann das neue Modell bist du Mega-out, kein flotter
Vierer mehr, denn dein Game Link Kabel ist out of error.
Eltern sind übrigens angehalten, das Spiel ihrer Sprösslinge AUGENBLICKLICH zu
UNTERBRECHEN, wenn folgende Symptome auftreten sollten (O-Ton
Betriebsanleitung): Schwindelgefühle und/oder Krämpfe, Augen- und
Muskelzuckungen, Wahrnehmungsverlust der Umgebung (vor allem wenn man den
Mülleimer runtertragen soll), verändertes Sehvermögen (wieso, der ist doch
noch gar nicht so voll), unwillkürliche Bewegungen, Desorientierung. Also dann
vielleicht doch lieber so ein bisschen Strahlenbelastung per Handy, das mit den
Spätfolgen ist doch eh wie beim Spinat, da haben sie sich auch um ein paar
Dezimal-Stellen vertan.
Ausgestattet sind diese Teile mit so scharfen Dingen wie Vibrationsalarm oder
polyphonen Klingeltönen, völlig jugendfrei. Laut Handy Glossar der Deutschen
Post kann man mit nur wenigen Handgriffen die Ober- und teilweise auch die
Unterschale des Handys austauschen und so dem Handy ein individuelles Design
verleihen, da sieht dann wenigstens keiner wenn man es im Aldi gekauft hat. Man
kann auch die einzelnen Anrufer anhand verschiedener Melodien gleich
erkennen, z. B. 'Simply the Best' für den Lebensabschnittsgefährten, 'Bitch is
Back' für die Zimtziege von Schwester, 'I am the Walrus' für den unerwünschten
Verehrer. Nicht zu vergessen 'Mamma Mia'.
Handys sollen
übrigens das einzige Ding sein, bei dem sich Männer darüber streiten, wer das
kleinere hat. Noch minimalistischer ist eigentlich nur ein MP3-Player, vor
allem in der Bedienungsanleitung. Das erste Lockangebot vertrug nicht mal die
Erschütterung beim Gang zum Altglas-Container geschweige denn die Schwingungen
beim Jogging, Beschreibung war auch eher mager. Der folgende Markenartikel hatte
dann sogar ein 128-seitiges Manual, allerdings in 14 Sprachen inklusive
finnisch, tschechisch und russisch. Wie viele Seiten da für den deutschen
Durchschnittsnutzer bleiben kann man hier
ausrechnen.
In Anbetracht der Ergebnisse der Pisa-Studie gerade in den
naturwissenschaftlichen Fächern ist es mir echt ein Rätsel, wie diese ganzen Hightech
verkabelten Jugendlichen, die die S-Bahn Sitze bevölkern, überhaupt Musik auf
ihre Geräte kriegen. Aber längere Gebrauchsanweisungen können die ja laut
Pisa eh nicht lesen. Vielleicht laden sie ja Klingeltöne per SMS von ihren
Handys herunter. Hier klingelt auch gerade eins, die guten alten Queen
mit 'Under Pressure', ich muss los, die Pflicht ruft.
Falls übrigens gerade ein Topf anbrennt: Lavendelöl hilft super gegen den
Gestank!
(Diese Story ist den beiden treuesten
Lesern von Shit happens gewidmet, 50% für Klaus, weil ich ihm wieder mal keine
Weihnachtskarte geschrieben habe und 50% für Jochen, obwohl ich ihm jedes Jahr
eine Weihnachtskarte schreibe.)
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